Wenn es zu viel des Guten ist
Bereits in der Antike haben sich die größten Philosophen damit beschäftigt, wie man zu einem glücklicheren Leben findet. In der Glücksforschung ist man sich inzwischen einig: Glück entsteht einzig und allein von innen und kann auch nur von innen heraus beeinflusst werden. Einer ist dir gerade in dein nagelneues Auto reingefahren? Cool bleiben! Du bist erneut durch eine Prüfung gefallen? Ach, halb so schlimm. „Positive vibes only, bloß keine negativen Gedanken zulassen.“, versucht man sich notgedrungen einzureden. Doch ist dieser aufgesetzte, teilweise unangebrachte Optimismus wirklich gesund für uns? Nein. Die Gewohnheit, allem eine positive Seite zu verschreiben, hat einen Namen: Toxic Positivity.
Verdrängung der Gefühle kann ernsthaft krank machen
Wenn uns etwas Schlimmes widerfährt, emp-finden wir für gewöhnlich negative Emotionen wie Angst, Verzweiflung, Trauer oder Wut. Bei Trauer verspüren wir oft das Bedürfnis, weinen zu müssen. Das Weinen löst zwar fürs Erste nicht das Problem, aber im Anschluss fühlen wir uns befreiter, ruhiger und sind wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Und genau das ist der entscheidende Punkt: Wir verleihen unserer Gemütslage Ausdruck und lassen sowohl eine emotionale als auch körperliche Reaktion zu.
So kann erneut ein seelisches Gleichgewicht hergestellt werden, und der Stress wird im wahrsten Sinne des Wortes ausgespült. Verdrängen wir jedoch diese Gefühle und blockieren sie über einen zu langen Zeitraum, häuft sich der emotionale Ballast an. Die aufgestauten negativen Gefühle werden langfristig verstärkt und äußern sich im schlimmsten Fall durch psychische Krankheiten oder psychosomatische Symptome.
Die Rede ist natürlich nicht davon, bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine innersten Gefühle zu offenbaren. Man sollte allerdings ehrlich mit sich selbst sein und mit Vertrauten über ernsthafte Probleme und belastende Situationen sprechen können, ohne diese herunterzuspielen.
Aufruf zu mehr emotionaler Authentizität
Unser Gemütszustand ist keine Konstante: An einigen Tagen fühlen wir uns besser, an anderen wieder schlechter – das ist völlig normal und berechtigt. Von außen betrachtet wirkt irgendwie jeder glücklich und frei von Problemen. Aber der Schein trügt, weil jeder Mensch – wirklich ausnahmslos jeder – im Leben mit etwas zu kämpfen hat.
Wie bei allen Dingen macht letztlich die Dosis das Gift: Eine grundlegend positive Lebenseinstellung zu behalten und seine Aufmerksamkeit auf das Gute zu lenken, lohnt sich auf alle Fälle. Gleichermaßen sollte man jedoch seine negativen Emotionen wahrnehmen und diese auf eine gesunde Art und Weise zulassen.
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Wir verleihen unserer Gemütslage Ausdruck und lassen sowohl eine emotionale als auch körperliche Reaktion zu. So kann erneut ein seelisches Gleichgewicht hergestellt werden.